20.10.2015 Kommunalpolitischer Kongress 2015

 

Zuwanderungskrise beherrschendes Thema auf deutsch-polnischem Kommunalkongress der AKP zu Magdeburg

Deutsch-Polnischer Kommunalpolitischer Kongress der AKP tagt in Magdeburg und beschäftigt sich vor allem mit den Folgen der Massenzuwanderung nach Europa. Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff begrüßt die rund 60 Delegierten in der Landeshauptstadt.


 

Von Bernhard Knapstein

 

Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt Magdeburg ist ein Kristallisationspunkt in der Verwaltungsgeschichte der europäischen Städte. Das Magdeburger Stadtrecht des Hochmittelalters hat sich tief nach Osten auf rund 1.000 Städte und Ortschaften ausgebreitet und auch für Polen eine starke Sogwirkung entfaltet. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht hatte bereits 2012 in Elbing diese historische Brücke zwischen Deutschland und Polen im Rahmen des deutsch-polnischen Kommunalpolitischen Kongresses der deutsch-polnischen Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitische Partnerschaft (AKP) hervorgehoben.

„Stahlknechts damals ausgesprochenen Einladung, den Kongress auch einmal in Magdeburg auszurichten, sind wir gerne nachgekommen“, erläutert der AKP-Vorsitzende Bernd Hinz, der die Kongressreihe bereits im Jahr 2000 initiiert und seither unter verschiedener Trägerschaft geleitet hat. Der Minister selbst musste seine fest eingeplante Teilnahme an dem diesjährigen Kongress aufgrund des vom Bundeskanzleramt kurzfristig einberufenen Asylgipfels absagen.

 

Ministerpräsident Haseloff: "Ohne Polen keine Einheit Deutschlands"

Im Magdeburger Maritim war es im Oktober 2015 deshalb der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt höchst selbst, der das Wort der Begrüßung an die rund 60 Delegierten der AKP richtete. Dr. Reiner Haseloff begrüßte die deutschen und polnischen Landräte, Kreispräsidenten, Bürgermeister, Landes- und Kommunalpolitiker, Vertriebenenvertreter und Angehörigen der deutschen Minderheit. Zu den Teilnehmern zählen immer wieder auch Vertreter der Deutsch-Polnischen Gesellschaft (DPG), darunter der Landesvorsitzende für Sachsen-Anhalt, Krysztof Blau, sowie der ehemalige NDR-Journalist und DPG-Beirat Friedrich-Wilhelm Kramer.

Für sein Land sei Polen das wichtigste Exportland, erklärte der Ministerpräsident. Haseloff, der auch auf die Regionalpartnerschaft seines Landes mit der Wojewodschaft Masowien einging, betonte, dass die Deutschen mit Dankbarkeit auf Solidarnosc, Papst Johannes Paul II. und Polens Rolle beim Ende des Kalten Krieges blickten. „Ohne Polen gäbe es keine Einheit Deutschlands“, zeigte sich der Ministerpräsident fest überzeugt.

In der nachfolgenden Diskussion mit dem Landesvater kristallisierte sich erwartungsgemäß schnell das Thema Asyl- und Zuwanderungspolitik heraus. Die deutschen Kommunalpolitiker wiesen auf die enormen Belastungen hin, ein für Haseloff allerdings vertrautes Thema, da auch sein Bundesland mit den organisatorischen Herausforderungen der Zuwanderung zu kämpfen hat. „Eine dauerhafte Integration der derzeit ins Land strömenden Menschen ist für Deutschland allein nicht leistbar“, widersprach Haseloff dem „Wir schaffen das!“-Mantra seiner Parteivorsitzenden, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dies sei auch für die CDU eine echte Herausforderung. „Wir haben keine Patentrezepte, wir sind Suchende“, musste der Ministerpräsident bekennen.

Die von Haseloff angedeutete und von der Bundesregierung immer wieder eingeforderte europäische Solidarität in der Frage der Verteilung der Europa erreichenden Flüchtlingsströme nach dem Dublin-Schlüssel wies der Stellvertretende Botschafter der Republik Polen in Berlin, Janusz Styczek, für sein Land zurück. Polen habe, was kaum wahrgenommen worden sei, der Übernahme von 8.000 Flüchtlingen – anders als etwa Tschechien und andere Staaten – tatsächlich zugestimmt. Dies sei für das in seiner Bevölkerungsstruktur sonst sehr homogene Polen eine schwierige Entscheidung gewesen. In seinem Vortrag über Polens Blick auf Deutschland und Europa forderte Styczek, dass sich Deutschland und Polen in der Flüchtlingsfrage nicht auseinanderdividieren lassen dürften.

Langfristig aber wünsche sich Polen eine einheitliche europäische Asylpolitik. In zwei Punkten gebe es eine politische Meinungsverschiedenheit und zwar in der Ostpolitik mit Blick auf die Ukraine und in der Klimapolitik, wo es Polen mit seiner auf Kohle basierenden Energiewirtschaft schwer habe, der Klimapolitik der EU zu entsprechen. Im Hinblick auf den Beitritt Polens zur Eurozone stehe nicht das „Ob“, sondern nur das „Wann“ zur Diskussion.

Kongressleiter Bernd Hinz erinnerte in seinem Dank daran, dass Styczek bereits 2003 an dem Kommunalpolitischen Kongress in Köln teilgenommen hatte und er seither ein Freund der Initiative und der AKP sei.

 

Deutscher Landkreistag: Vize Thomas Kubendorff "NRW hat Flüchtlingskrise schlichtweg ignoriert"

Wie dramatisch der Zustand in den deutschen Landkreisen aktuell ist, davon wusste der Vizepräsident des Deutschen Landkreistages Thomas Kubendorff, Kreis Steinfurt, zu berichten. „In NRW ist es mittlerweile so, dass die Gemeinden inzwischen auch die Erstaufnahme durchführen, weil das Land die Flüchtlingskrise schlichtweg ignoriert hat.“ Steinfurt habe so von einem Tag auf den anderen 700 Flüchtlinge aufnehmen müssen.

Thomas Kubendorff, der in seinem Referat primär die kommunale Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen in den Blickpunkt rückte, wies daraufhin, dass von den 1.400 sehr aktiven kommunalen Partnerschaften zwischen Deutschland und Polen ein starker Einfluss auf die Außenpolitik ausgehe. Kritisch betrachte der DLT-Vizepräsident allerdings, dass die Europäische Union die Förderung der Partnerschaftsarbeit runterfahre. Es gehe zwar nicht um große Mittel, dennoch müsse die EU in dieser Frage umdenken.

In der Tat kommt die Entwertung der Partnerschaftsarbeit auf europäischer Ebene zur Unzeit. Die EU befindet sich nach Expertenmeinung in einem fragilen Zustand abnehmender Zustimmung bei den Bürgern, strukturellen Schwächen und nur geringer demokratischer Legitimierung. Auf dem Hambacher Kongress der AKP 2010 hatte Alt-Ministerpräsident Dr. h.c. Erwin Teufel gar von einer „EU-Zustimmung im freien Fall“ gesprochen. In diesem Kontext bekommt die Streichung der Mittel für Partnerschaftsarbeit einen besonders negativen Beigeschmack.

Wie sehr die Flüchtlingswelle auf Europa hinter den Kulissen das Parlament in Atem hält, offenbarte der Innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Burkhard Lischka. Der Abgeordnete, der auch selbst in der Magdeburger Kommunalpolitik aktiv ist, zeigte Verständnis für die Belastungen der Kommunen. Als Nadelöhr identifizierte Lischka in seinem sehr emotionalen aber auch faktenreichen Beitrag die personelle Ausstattung sowie die Berechnungsgrundlagen für die Bearbeitung von Asylanträgen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Seinem Vortrag schloß sich eine hochintensive und emotionale Diskussion an, bei der man auch den mit der Massenzuwanderung bisher nicht konfrontierten polnischen Kommunalpolitikern Sorgen um das europäische Gemeinwesen anmerkte. Die Diskussion des Auditoriums mit dem Referenten offenbarte, dass die Flüchtlingswelle sowohl die Europäische Union als auch Deutschland selbst spaltet.

Die Flüchtlingskrise droht Europa zu zerreissen. Der Schlüssel von Lösungen in der Flüchtlingsproblematik liegt in Europa, aber leider befinden sich die meisten europäischen Länder lediglich auf der „Zuschauertribüne“. Europa muss sich entscheiden, ob es sich als Solidargemeinschaft oder lediglich nur noch als „Freihandelsraum“ versteht.

 

Wirtschaftsrat: Synergieeffekte der Partnerschaftsarbeit ökonomisch nutzen

Auch das Thema Wirtschaftspartnerschaft griff die AKP im Rahmen ihres Kongresses auf. Der Landesvorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates und Präsident der Anwaltskammer Sachsen-Anhalt, Dr. Michael Moeskes, analysierte die Grundlagen der deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen ausgehend vom Magdeburger Recht. Er hob in seinem Vortrag die Potenziale der Wirtschaftskooperation als ergänzenden Faktor zur Kommunalpartnerschaft hervor. Es gelte die guten kulturellen Kooperationen auch für wirtschaftliche Synergieeffekte zu nutzen. Immerhin hätten seit der Wiedervereinigung deutsche Unternehmen bereits 27 Mrd. Euro in Polen investiert. Ergänzt wurde sein Vortrag von den Erfahrungsberichten zweier Unternehmer aus der Region mit entsprechendem Engagement. Der Wirtschaftsrat der CDU gehört inzwischen zu den Partnern der AKP-Initiative und nahm gleich mit mehreren Vertretern an dem Kongress teil.

Das Schwerpunktthema des Kommunalpolitischen Kongresses 2014 in Posen, die Ukraine-Krise, griff in Magdeburg noch einmal der langjährige Landtagspräsident des Landes Sachsen-Anhalt, MdL Dieter Steinecke auf. Der Politiker, der auch über einige Jahre Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Forums war, forderte, die EU müsse sich gegenüber Russland mit Blick auf die Ukraine und Polen entschiedener aufstellen. Die diplomatischen Gespräche würden „mit Leerlauf“ geführt.

Der Kommunalpolitische Kongress der AKP befasste sich auch in diesem Jahr wieder mit der Entwicklung der deutschen Minderheit in Polen. Die Vorsitzende des Deutschen Vereins im masurischen Neidenburg (Nidzica), Sabina Wylengowska, referierte über die Entwicklung des deutschen Sprachunterrichts als Fremd- und als Unterrichtssprache. In Ermland-Masuren unterrichten aktuell nur 22 Lehrer an 19 Schulen Deutsch als Minderheitensprache; die wenigsten der Lehrkräfte haben selbst deutsche Wurzeln. Zu kritisieren sei, dass die nach einer Verordnung des Bildungsministers vom 19.11.2009 vorgeschriebenen methodischen Schulungen der Lehrkräfte unterblieben und auch die Terminierung des Unterrichts als Minderheitensprache zum Teil auf den späten Nachmittag verlegt würde. Schüler vom Lande seien so gezwungen, zwischen dem allgemeinen Unterricht und dem minderheitenspezifischen Unterricht viele Stunden durchzuhalten, was dazu führe, dass oft auf den Minderheitenunterricht ganz verzichtet werde.

Den Werdegang der Minderheit im Oppelner Schlesien als kulturelle und politische Kraft beschrieb der Vizepräsident des Oppelner Sejmiks, Jozef Kotys. Die vergangenen 25 Jahre der Minderheit seien geprägt gewesen von dem Ringen um Anerkennung und der gleichberechtigten Mitwirkung am Gemeinwesen in der Woj-wodschaft Oppeln. Der Vertreter der deutschen Minderheit im polnischen Parlament, dem Sejm, Rychard Galla, sei auch regelmäßiger Teilnehmer der AKP-Kongressreihe. Kotys stellte in seinem Vortrag die Kernfrage: „Sind die Deutschen in Oppeln ein Hindernis oder eine Bereicherung für die deutsch-polnischen Beziehungen?“

Anhand mehrerer Beispiele aus der Praxis (die deutsche Minderheit gewinnt bei Wahlen nicht unerheblich Stimmen aus der polnischen Bevölkerung, Brückenfunktion zu Deutschland und Frankreich durch die Partnerschaft sowie stärkerer Anreiz für Investitionen bei Unternehmern aus Deutschland usw.) belegte er die positive Rolle der Deutschen aus Oppeln in Polen.

Der deutsch-polnische Kommunalpolitische Kongress beschloss seine Tagung 2015 mit einer Besichtigung des Magdeburger Doms und der Grablage Kaiser Otto I.

Der AKP gelingt es immer wieder neu, mit ihrer Traditionsveranstaltung den Finger am Puls der Zeit zu haben. „Ich gratuliere Ihnen zur Organisation des Kongresses auf so hohem Niveau“, ließ etwa der Mühlhausener Bürgermeister Marek Misztal wenige Tage später mit Verweis auf die hochwertige Zusammensetzung der Gäste und Redner verkünden. Dass der deutsch-polnische Kommunalpolitische Kongress der AKP seit Jahren eine feste Bank im binationalen Verständigungsprozeß ist, stellte allerdings der masurische Landkreis Johannisburg/Pisz besonders eindrucksvoll unter Beweis. Landrat Andrzej Nowicki, der seit vielen Jahren als Delegierter an dem Kongress teilnimmt, teilte noch auf der Magdeburger Tagung mit, dass der AKP-Vorsitzende Bernd Hinz für seinen unermüdlichen Einsatz um die Beziehungen zwischen beiden Ländern und die Kongressreihe mit der höchsten Auszeichnung seines Landkreises, dem „Ehrenwolf von Pisz“ 2015 ausgezeichnet werden solle.

Dass ein Vertriebenenfunktionär außerhalb seines eigenen Beritts – Hinz ist Vorsitzender der Pr. Holländer Kreisgemeinschaft und Ehrenbürger seiner polnischen Partnerstadt Paslek/Pr. Holland – von polnischer Seite derart geehrt wird, werten Kenner der Vertriebenenstrukturen dann allerdings schon als einzigartig.