Kongress 2014: Ukraine-Konflikt erzeugt emotionale Debatte

 

 

Wenn man von einer europäischen Großstadt behaupten kann, jung, quicklebendig und europäisch zu sein, dann trifft das sicherlich auf die polnische Universitätsstadt Posen zu. Anfang Oktober tagte in der polnischen Warthe-Metropole der Kommunalpolitische Kongress der deutsch-polnischen Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitische Partnerschaft (AKP). Rund 50 polnische und deutsche Landräte, Bürgermeister, Kreispräsidenten sowie Vertreter der dialogorientierten deutschen Heimatkreisgemeinschaften der Vertriebenen und der deutschen Minderheit in Polen fanden sich im Zentrum jener Stadt ein, in der sich die Menschen nicht nur zu den guten deutsch-polnischen Beziehungen bekennen, sondern auch den preußischen Teil der eigenen Stadtgeschichte im besten Sinne für sich reklamieren. „Wir waren 130 Jahre lang preußisch, unsere Tugenden sind es heute noch“, so die selbstbewusste Einschätzung der Fremdenführerin im Rahmen einer Stadtbesichtigung. Posen scheint in der Tat seine ganze Geschichte mit Licht und Schatten anzunehmen, auch den deutschen Teil seiner Geschichte. Nicht jeder polnischen Kommune mit deutscher Vergangenheit gelingt das so ungeteilt konstruktiv-positiv. Mit Blick auf die im Jahr 2000 noch unter anderer Trägerschaft begründete Kongressreihe und der damit verbundenen Versöhnungspolitik erklärte der deutsche AKP-Vorsitzende und Tagungsleiter Bernd Hinz, es könnten sich alle „glücklich schätzen, dass wir nach vielen Jahrzehnten des Misstrauens und der Ablehnung nunmehr seit ca. 25 Jahren unsere gemeinsame positive Geschichte erzählen können und ich wünsche uns, dass wir diesen Prozess zum Wohle beider Länder und insbesondere der Menschen nachhaltig fortschreiben können.“

 

 

Die AKP, die mit ihrem Kongress jährlich wechselnd in Polen und Deutschland tagt, hatte sich bewusst für Posen entschieden, wo der europäische Geist stark ist, wo mit 130.000 Studenten das Herz einer jungen Stadt schlägt, der Polnische Städtetag seinen Sitz hat und der bedeutende polnische Diplomat und zweimalige polnische Botschafter in Berlin, Dr. Andrzej Byrt, als Vorstandsvorsitzender der Internationalen Messe Posen vorübergehend für die Wirtschaft tätig ist.

 

In Vertretung des Stadtpräsidenten begrüßte Verwaltungsvorstand Andrzej Sobon die Delegierten des Kongresses im Mercure im Stadtzentrum und berichtete über die guten Beziehungen zur niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover und zur Bamberg-Kooperation, die auf die fränkischen Ansiedlungen in der Region Posen zwischen 1719 und 1753 zurückgeht. Noch heute gibt es einen aktiven Verein der Posener Bamber sowie ein Museum, das sich mit diesem Teil der Posener Geschichte befasst. Es gebe auch eine Kooperation mit dem ukrainischen Charkiw, so Sobon. Diese sei aber schwierig, zumal die Stadt östlich orientiert sei.

 

Andrzej Byrt ließ es sich trotz dichten Terminkalenders und seines nahen Amtsantritts als Botschafter in Paris nicht nehmen, den AKP-Kongress in Posen willkommen zu heißen. Schwerpunktthema des diesjährigen Komunalpolitischen Kongresses waren die deutsch-polnischen Beziehungen im Zeichen der Ukraine-Krise. Mit Blick darauf und Putins Rolle darin, erläuterte Byrt den polnischen Blickwinkel unter anderem anhand eines auf den ersten Blick verstörenden Vergleichs. „Wir Polen sehen Putins Aussage, das größte Unglück Russlands sei der Zerfall der Sowjetunion, inhaltlich wie beispielsweise eine hypothetische Aussage Bundespräsident Gaucks, das größte Unglück Deutschlands sei der Zusammenbruch des Deutschen Reichs.“

 

Eine Haltung, die auch der Rastenburger Landrat und Vorsitzende des Convents der Landräte in der Wojewodschaft Ermland und Masuren, Tadeusz Mordasiewicz, sichtlich bewegt zum Ausdruck brachte. Sein Landkreis liegt nahe der Grenze zum Königsberger Gebiet. Er höre regelmäßig die Schüsse in den russischen Kasernen. Auch wenn man keine Angst habe, der Westen müsse aufwachen und erkennen, dass Putin die Verteidigungsbereitschaft Europas teste. Diplomat Byrt forderte dennoch von allen politischen Kräften Ruhe und Sachlichkeit ein. Für die Entwicklung der Gesellschaft in ganz Europa sei das Wirken der Menschen auf kommunaler Ebene von essentieller Bedeutung. Daran habe auch die AKP ihren Anteil. „Dass wir jetzt rational bleiben, geschieht auch wegen Konferenzen wie dieser.“

 

Den nicht unerheblichen US-amerikanischen Blickwinkel auf den Ukraine-Konflikt erläuterte den Delegierten der politische Chefkorrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ in Washington, Ansgar Graw. Die Wahrnehmung des Konflikts nehme im Zeichen von Ebola und der islamistischen ISIS zwar ab, dennoch setzten sich die führenden Think Tanks natürlich mit der Ukraine auseinander. Die USA hätten eine Pro-Sanktionen-Haltung. Allerdings sei man in Washington davon ausgegangen, dass schon die Androhung ausreichen würde, um Russland zum Einlenken zu bewegen. Inzwischen spreche man freilich schon über die dritte Stufe der Sanktionen. Hinsichtlich der Stabilisierung der Ukraine ließ der Journalist Fakten sprechen: Während die EU Zusagen von über 11 Mrd. USD getätigt hätten, seien seitens der USA 300 Mio. USD geflossen und eine Bürgschaft über 1 Mrd. USD ausgesprochen worden. Von diesen US-Investitionen seien 40 % in Form von militärischem Zubehör erfolgt, aber nicht in Form von Waffen. Ansgar Graw ging bei seiner persönlichen Einschätzung davon aus, dass die Ukraine mittelfristig weiterhin destabilisiert bleiben werde.

 

Einen tiefen Einblick in den bundesdeutschen Blickwinkel auf die Ukraine vermittelte der Erste Botschaftsrat der Deutschen Botschaft in Warschau, Dr. Hans-Peter Hinrichsen, der die deutsch-polnischen Beziehungen in den Kontext der Herausforderungen für die Europäische Union stellte. Ein Beleg für die Lebendigkeit der deutsch-polnischen Beziehungen sei der AKP-Kongress, so der Diplomat. Neben der Ukraine-Krise seien die Energie-Unabhängigkeit vom russischen Gas, die Währungskrise und auch der Investitionsbedarf in Innovation für die globale Wettbewerbsfähigkeit die aktuellen Herausforderungen für die EU.

Dass den polnischen Delegierten des Kongresses insbesondere die Politik Putins wichtig ist, offenbarte die Debatte, die immer wieder - auch emotional - auf die Ukraine-Krise zurückführte. So äußerte der Allensteiner Landrat Miroslaw Pampuch seine Sorge, dass Art. 5 des Nato-Vertrages zwar eine Garantie gäbe, aber aus polnischer Sicht unklar sei, ob diese Garantie im Ernstfall auch eingehalten werde. Im Übrigen stünden in Königsberg Iskander-Raktenen und SS 20, weshalb eine von der Nato eingeplante 48-Stunden-Einsatzbereitschaft einer schnellen Eingreiftruppe im Zweifel zu spät käme. In seiner Analyse verwies Hinrichsen dem gegenüber auf die möglichen Motive Putins. Der setze derzeit auf Nationalismus, da die Energiewirtschaft im Zeichen des Preisverfalls an Integrationskraft verliere. Auch wenn die Krimbesetzung geplant gewesen sei, gelte das nicht für die Ostukraine. Russland wolle lediglich verhindern, dass der Staat politisch weiter nach Westen abdrifte. Polen und Deutschland seien sich einig, dass eine Lockerung der Sanktionen nicht in Frage komme. „Kurzfristiges Ziel muss sein“, so Hinrichsen, „ein Einfrieren der Lage in der Ost-Ukraine zugunsten der Separatisten zu vermeiden“. Allen Beteiligten müsse aber auch klar sein, dass am Ende die Ukraine mit ihrem großen Nachbarn im Osten leben können müsse. Die Diskussion der aktuellen Krisensituation und deren Auswirkungen auch auf die Kommunen in Polen nah der Grenze zum Königsberger Gebiet ging auch in den Pausen weiter. Im Bild oben: Schleswig-Flensburgs Kreispräsident Ulrich Brüggemeier, Ehrenpräsident des Schleswig-Holsteinischen Landkreistages Johannes Petersen und Rendsburg-Eckernfördes Kreispräsident Lutz Clefsen (v.l.).

 

Dass auch kommunalpolitisch orientierte Partnerschaft dazu beitragen kann, die Ukraine auf ihrem Demokratisierungsprozess zu unterstützen, zeigte der Beitrag von Katarzyna Paczynska vom Polnischen Städtetag (ZMP). Sie vertrat den kurzfristig verhinderten Direktor der Institution, Andrzej Porawski. Der ZMP engagiere sich in der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, indem bereits 60 Vertreter ukrainischer Kommunen zu Studienzwecken nach Polen eingeladen worden seien. Es gäbe darüber hinaus rund 400 Kontakte zu meist westukrainischen Städten, aber auch in die Ostukraine. Ziel sei die Stärkung des Verständnisses für kommunale Selbstverwaltung. Der stellvertretende Landrat des Kreises Elbing, Maciej Romanowski, berichtete von den eigenen Bemühungen um eine Partnerschaft in der Ukraine. Früher habe man die Hilfe der deutschen Partner erhalten, nun könne man das Wissen und eigene Erfahrungen weitergeben. Man sei aber auf erhebliche Hürden gestoßen.

 

Aus deutscher Sicht, so ein Delegierter, sei eine Ausweitung deutsch-polnischer Partnerschaften auf die Ukraine für den Demokratisierungsprozess sicherlich sinnvoll. Man müsse aber im Blick haben, dass ein Spielraum in den kommunalen Etats schlichtweg nicht mehr vorhanden sei und hier auch die EU entscheiden müsse, ob sie derlei Aktivitäten auch finanziell fördere.

 

Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt, die bereits durch Innenminister Holger Stahlknecht beim Kongress 2012 in Elbing hochrangig vertreten war, übermittelte an den AKP-Kongress eine Grußbotschaft. In der vom Präsidenten der Anwaltskammer Sachsen-Anhalt, Dr. Michael Moeskes, vorgetragenen Grußbotschaft, wurde die Einladung nach Magdeburg ausgesprochen. Dem Ansinnen wird die AKP bereits 2015 nachkommen und dort ihren Folgekongress ausrichten.

 

Auch der polnische Spitzendiplomat Andrzej Byrt regte gegenüber den Delegierten an, in Verbindung mit deutsch-polnisch-französischen Partnerschaften doch einmal in Paris zu tagen. Ein Beitrag, der seitens der AKP angesichts der Parallelen zur deutsch-französischen Verständigung und Versöhnung und der aktuellen Herausforderungen für ganz Europa dankbar aufgenommen wurde.

 

Wie wichtig der Kommunalpolitische Kongress für alle Beteiligten ist, zeigt nicht nur der alljährliche Zuspruch, sondern auch die Intensität der Debatten zu sensiblen Themenkomplexen. „Nur die Wahrheit kann uns befreien. Die AKP und die Teilnehmer der Kongresse haben zwischen Polen und Deutschen eine Brücke gebaut „, resümiert der Rastenburger Landrat Tadeusz Mordasiewicz. Einige Delegierte nehmen seit Anbeginn der Initiative an den AKP-Kongressen teil und nutzen die Begegnung für die Vertiefung und den Ausbau der Kontakte sowie für Vorgespräche für neue Projekte in der Partnerschaftsarbeit. Das hohe Niveau in den Beiträgen und Debatten hat erneut gezeigt, dass an der Verständigung zum Zwecke der Integration und Versöhnung kein Weg vorbei führt, dass aber auch 25 Jahre nach dem Fall des Eisenen Vorhangs Europa sich nicht uneingeschränkt im endgültigen Frieden wähnen darf. Die neuen Herausforderungen für den Frieden haben den Kontinent längst erreicht.

 

Bernhard Knapstein

 

Weitere Quellen:

 

- http://januszotreba.wordpress.com/2014/10/24/polsko-niemiecki-kongres-samorzadowo-polityczny-w-poznaniu/

 

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